Natan Hofshi

/Vom Zionismus und Pazifismus eines Propheten des 20. Jahrhunderts/

Von Josef Ben-Eliezer /

Denn es wird kein Volk gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zuführen. (Jesaja 2,4)

Wie kann man Zionist und zugleich Pazifist sein? Natan Hofshi (1889-1980) glaubte daran, dass es für den Zionismus keinen anderen Weg als den der Gewaltlosigkeit geben könnte. Sein Glaube gründete sich auf den Gott des Alten Testaments, wie ihn die Propheten verkündigt haben. Für ihn bedeutete „Zionismus“ die Berufung des jüdischen Volkes, für Gerechtigkeit, Liebe und Brüderlichkeit im Geist Gottes zu leben.

Wenn mehr Menschen auf diese einsame Stimme gehört hätten, als er mit den ersten jüdischen Einwanderern Anfang des 20. Jahrhunderts nach Palästina kam, dann würde der Mittlere Osten heute vollkommen anders aussehen. Schon bevor der Staat Israel gegründet wurde, warnte Natan Hofshi die jüdischen Siedler, die den Weg der Gewalt einschlugen, vor dem Kreislauf von Blutvergießen und Revanche, dessen Folgen wir heute in Israel/Palästina sehen. Er warnte sie davor, wie „alle anderen Nationen“ sein zu wollen, statt der heiligen Berufung des jüdischen Volkes zu folgen und allen Nationen ein Vorbild für Liebe und Brüderlichkeit zu sein.

Natan Hofshi wuchs in einer traditionell jüdischen Familie in Polen auf. Er bewunderte seinen Vater, „ein Mann tiefer Gedanken und Visionen“, der sehr gebildet war und oft ganz andere Ansichten vertrat als seine Nachbarn.

„Bei uns zu Hause spielte das Lesen und Studieren der Bibel eine wichtige Rolle, besonders die späten Propheten. Es ist dem Einfluss meines Vaters zuzuschreiben, dass ich fast die ganze Bibel auswendig konnte. Ich lernte vieles zu verstehen: was die Propheten meinten und was sie wollten … die ethische Seite des Judentums; über was sie klagten und um was sie kämpften.“

Schon in jungen Jahren kam Hofshi in Kontakt mit zionistischen Gruppen. „Wir waren eine kleine Gruppe Jugendlicher, trafen uns heimlich, sprachen Hebräisch, lasen hebräische Zeitungen und diskutierten darüber. In unserer engen und hauptsächlich orthodoxen jüdischen Gemeinde war dies eine glatte Gotteslästerung.“

1909, mit 20 Jahren, emigrierte Hofshi nach Palästina. Dort arbeitete er auf dem Land, pflückte Trauben und Mandeln. Die Bedingungen waren sehr schlecht und das Essen war einfach, vor allem auch weil Natan Vegetarier war. Er wanderte von Ort zu Ort und hatte überall gute Beziehungen zu den arabischen Arbeitern. Eine geraume Zeit lebte er in dem ersten Kibuz, Degania, und 1921 war er einer der Gründer der ersten genossenschaftlichen Siedlung, Nahallal. Hier ließ er sich nieder, begegnete seiner Frau Tova und heiratete. Sie hatten zwei Töchter und einen Sohn.

Zwei der frühen Zionisten, die einen großen Einfluss auf ihn haften, waren Ahad ha-Am und A.D.Gordon. „Für Ahad ha-Am bedeutete Zionismus nicht das Erlangen staatlicher Macht sondern die Wiederbelebung des jüdisch-hebräischen Geistes. Er wandte sich gegen alle, die den Geist der Gewalt in den Zionismus bringen wollten. Für ihn war dies ein Verrat an der jüdischen Tradition und am Erbe der letzten tausend Jahre.“ Natan war beeindruckt von A.D. Gordon‘s Begeisterung, das Land zu bebauen.

Ein Wendepunkt in seinem Leben ereignete sich 1920 nach der Schlacht von Tel Hai: er half mit, die Toten zu begraben, die von seinen Mit-Zionisten als Helden angesehen wurden, weil sie sie vor einem arabischen Angriff gerettet hatten. Er berichtet, wie er sich damals fühlte:

„Unmittelbar nachdem unsere Auferstehung ihren Anfang genommen hatte, die ersten Frühlingsknospen aufsprangen und die ersten Bäume blühten, die wir im Schweiß unseres Angesichts gepflanzt hatten, wurde dieser Anfang mit Blut besudelt und durch nichts kann dieser Schandfleck beseitigt werden, weder durch Trauern und Weinen noch durch Heldentum und Kampf. Wir hatten davon geträumt, unter Einsatz unserer Leiber und Seelen mit Arbeit und Schweiß ein friedliches neues Leben zu bauen, und hier kommt Satan und lacht verächtlich über uns und unsere Träume. Weint nicht um die Toten; weint um das Leuchten in ihren Augen, das nun erloschen ist, um die Liebe, die dahinwelkte, bevor sie Erfüllung fand; weint um das Unkraut von Hass und Rache, das nun ihren Platz eingenommen hat. Kann je eine Pflanze wachsen auf salziger Erde? Kann eine Nation wachsen auf dem Grund von Feuer und Schwefel, Hass und Rache?“

Von da an schwankte er niemals mehr in seinem Glauben, dass jede Gewalt falsch ist. Besonders schwer war dies während des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust, als er von vielen als ein Verräter am jüdischen Volk angesehen wurde, weil er sich weigerte, gegen Hitler zu kämpfen. „Niemals könnte ich die Hitler-Waffen in die Hand nehmen und so sein wie er!“

Die Juden in Palästina wurden immer militaristischer, bis schließlich die Israelische Armee gegründet wurde. Aber einige wenige Leute hielten auch in dieser Zeit zu ihm, und zusammen mit ihnen gründete Hofshi eine Antikriegsbewegung, die er viele Jahre lang leitete. Sein Glaube war sehr offen und geradeaus: „Gott ist unser Vater und wir sind seine Söhne, Mitglieder einer Familie.“

Deshalb richtet sich jede Gewalt direkt gegen die eigenen Brüder und Schwestern, und Krieg ist nichts anderes als Brudermord. Die Worte von Hillel, genannt „der Alte“, [einem der bedeutendsten rabbinischen Gesetzeslehrer zur Zeit Jesu] waren entscheidend für ihn: „Wenn dein Nächster dir Böses tut, sollst du es ihm nicht vergelten.“ Für ihn war der Judaismus keine enge Lehre sondern etwas, das dem jüdischen Volk anvertraut war, um ein Vorbild zu sein für die ganze Welt. So schrieb Hofshi über seinen Glauben:

„Im 1. Buch Mose heißt es: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde; nach seinem Bilde schuf er ihn.“ Das hat eine sehr tiefe Bedeutung; dass wir alle Söhne sind unseres Vaters im Himmel. Dieses allerhöchste Zeugnis iiber die Einheit der Menschheit. der völligen Gleichheit aller Menschen als Geschwister und die Heiligkeit des mcnschlichen Lebens ist unanfechtbar. Von daher kommt die klare Haltung in den gegenseitigen Beziehungen die von Person zu Person im täglichen Leben verlangt wird wie auch im Verhältnis der Nationen untereinander. Das ist auch die Lösung der Probleme, die das Menschengeschlecht heutzutage umtreiben und bedrohen.

Und der Talmud spricht über die Tugenden des Allerhöchsten: „Es wurde gesagt in der Torah (5. Mose 13): ‚Du sollst wandeln in den Fußspuren des Herrn und an Ihm festhalten‘. In unserer Überlieferung heißt es: ‚Weil er die Nackten kleidet, tue du es auch; weil er die Kranken besucht, tue du es auch; weil er die Trauernden tröstet, tue du es auch‘ (Talmud Suta 14).‘“

An drei Kennzeichen soll man diese Nation erkennen: Mitleid, Bescheidenheit und Nächstenliebe. Jeder, der diese drei Kennzeichen hat, ist es wert, dieser Nation anzugehören; wer sie nicht hat, ist es nicht wert, daran teilzuhaben“ (Vevamot 69). Diese Worte sind besonders in unserer Zeit von Bedeutung, wo die Frage, wer ein Jude ist, so intensiv diskutiert wird. Während der folgenden Jahre, bis zu seinem Tod 1980, erhob er beständig seine Stimme gegen die Grausamkeiten gegenüber dem palästinensischen Volk, die er vorhergesehen hatte und die das Ergebnis der Militarisierung des Staates Israel waren. Und wie die alten Propheten gab er niemals seine Vision von einer gerechten Gesellschaft auf:


Ich sehe das jüdische Volk als eine Nation mit der heiligen Aufgabe,
eine Nation des Friedens, der Gewaltlosigkeit und der weltweiten Brüderlichkeit
in Zion zu errichten.
Zion ist unser altes Heimatland, aus dem wir mehrere Male vertrieben wurden, weil wir gegen diese heilige Berufung gesündigt hatten.
Unsere Existenzberechtigung hängt davon ab, ob wir diese Berufung in die Praxis umsetzen.
Das bedeutet, dass wir nur nach Zion zurückkehren können, wenn es Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit mit unseren Mitmenschen gibt, mit unseren arabischen Brüdern, die in diesem Land leben.
Wenn wir uns gewalttätig benehmen, in einem Geist der Feindseligkeit und Fremdenfeindlichkeit, und nicht dem heiligen jüdischen Prinzip folgen: »Wenn dein Nächster dir Böses tut, sollst du es ihm nicht vergelten“, dann begehen wir eine folgenschwere Sünde
und bringen uns selbst in äußerste leibliche und geistige Gefahr.
Deshalb sehe ich den Jüdisch-Arabischen Frieden als unsere wichtigste Verpflichtung an.
Und ich betrachte die heutige Situation als skandalös und beschämend für das israelische Volk.“

Vgl. zu Hofshi auch https://www.poeticmind.co.uk/peace-room/natan-hofshi-pacifism-and-anti-militarism-in-the-period-surrounding-the-birth-of-the-state-of-israel/


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