Das rechte Benehmen im Jihad. + Von der Barmherzigkeit.

Aus dem „Offenen Brief an al-Baghdadi (Open Letter to Al-Baghdadi) 2014.

Das rechte Benehmen im Jihad wird in den Worten des Propheten Muhammed – Frieden und Segen seien auf ihm – zusammengefasst: „Führt den Krieg, doch seid nicht streng, seid nicht verräterisch, verstümmelt nicht und tötet keine Kinder…“ Der Prophet – Frieden und Segen seien auf ihm – sprach auch bei der Eroberung von Mekka: „Jene die Zuflucht suchen, dürfen nicht getötet, den Verletzten darf nicht geschadet werden und wessen Tür geschlossen ist, der ist sicher.“

Gleichermaßen, als Abū Bakr al-Ṣiddīq – möge Allāh mit ihm zufrieden sein – eine Armee in die Levante sandte, sprach er zu ihnen:

„Ihr werdet Menschen vorfinden, die sich in Klöstern ihren Gebeten widmen. Lasst sie in ihren Gebeten. Ihr werdet aber auch solche finden, deren Köpfe Sitz des Teufels sind (…), so schlaget ihnen die Köpfe ab. Doch tötet nicht die Alten und Behinderten, die Frauen und Kinder. Zerstört keine Gebäude, schlagt keine Bäume ab und vernichtet keine Vorratsspeicher ohne triftigen Grund. Schlagt oder brennt keine Palmen ab und seid nicht verräterisch, verstümmelt niemanden. Seid nicht feige und geht nicht auf Beutezug. Und wahrlich, Gott wird jene unterstützen, die Ihn und Seinen Gesandten unterstützen, während sie Ihn nicht sehen. Wahrlich, Gott ist der Starke, der Allmächtige.“ [26]

Das Töten von Kriegsgefangenen ist nach isla­mischem Recht verboten. Dennoch habt ihr viele Gefangene getötet, darunter die 1700 Gefangenen des Camp Speicher in Tikrit im Juni 2014; die 200 Gefangenen des Schair (šāʿir) Gasfeldes im Juli 2014; die 700 Gefangenen des Schaitat (šaʿīṭāt) Stammes in Dir al-Zuru (600 von ihnen waren unbewaffnete Zivilisten); die 250 Gefangenen im Ṭabqah Militärflugfeld in al-Raqqah im August 2014; Kurdische und Li­ba­ne­sische Soldaten und viele unerwähnte, die nur Gott weiß. Dies sind abscheuliche Kriegsver­brechen.

Wenn ihr behauptet, der Prophet – Frieden und Segen seien auf ihm – habe einige Gefangenen in einigen Schlachten getötet, dann ist die Antwort darauf, dass er nur die Exekution zweier Gefangene nach der Schlacht von Badr anbefahl: ʿUqbah b. Abī Muʿayṭ und Naḍr b. al-Ḥāriṯ. Diese beiden waren zwei Kriegsführer und Kriegsverbrecher und die Hinrichtung von Kriegsverbrechern ist gestattet, wenn der Herr­scher dies befiehlt. Dies ist, was Saladin nach seiner Eroberung Jerusalems tat und was die Alliierten während der Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg taten. Bei den über zehntausende Gefangene, die während der Herrschaft des Propheten – Frieden und Segen seien auf ihm – in einer Spanne von zehn Jahren und 29 Schlachten gemacht wurden, exekutierte er nicht einen einzigen regulären Soldaten. Im Gegenteil, der Prophet – Frieden und Segen seien auf ihm – befahl sogar, dass man sanftmütig mit ihnen umgehe.[27] Der göttliche Entschluss bezüglich Gefangenen und Kriegsgefangenen lautet in Gottes Worten: „Danach (lasst sie) als Wohltat frei oder gegen Lösegeld…“ (Muḥammad, 47:4) Gott – Erhaben und Makellos ist Er – befahl, dass die Kriegsgefangenen mit Respekt und Würde behandelt werden: „und sie geben – obwohl man sie liebt – Speise zu essen einem Armen, einer Waisen und einem Gefangenen.“ (al-Insan, 76:8) Wahrlich, die wahre Sunnah des Propheten – Frieden und Segen seien auf ihm – bezüglich den Gefangenen ist Vergebung und Frei­lassung, wie er es uns während der Ero­be­rung Mekkas lehrte, als er – Frieden und Segen seien auf ihm – sagte: „Ich sage, wie mein Bru­der Josef einst sagte: ‚An diesem Tage soll es keine Vorwürfe gegen euch geben!‘ So geht, denn ihr seid frei!“

Wenn wir letztlich zu dem wichtigsten Prinzip des Benehmens im Jihad kommen, so lautet dieses, dass die Angreifer getötet, doch ihre Familien und Zivilisten nicht absichtlich getötet werden dürfen. Wenn ihr nun über die Geschehen fragt, in denen der Prophet – Frieden und Segen seien auf ihm – über das Töten jener befragt wurde, die unbeteiligt ne­ben dem Schlachtfeld stehen und den Frauen, die mit den Götzendienern gemeinsam getötet wurden, und er antwortete: „Sie gehören zu ihnen“, so bezieht sich dieser Hadith auf das versehentliche Töten und ist keineswegs ein Hinweis für das absichtliche Töten von Un­schul­digen – wie es bei Bombardements ge­schieht. Und die Worte Gottes – Erhaben und Makellos ist Er: „… und sei hart gegen sie!“ (al-Tawbah, 9:73) und: „Sie sollen in euch Härte vorfinden.“ (al-Tawbah, 9:123), so beziehen sich beide Verse auf den Zustand während des Krieges und nicht auf den nach dem Krieg.

Anmerkung von Madrasah: Das von uns übersetzte Rechtsgutachten „Offener Brief an al-Baghdadi“ stellt ein Beispiel einer innerislamischen Reaktion auf die Verbrechen dar, die derzeit im Namen des Islam verübt werden. In dem Brief sind einige Stellen zu finden, welche als Konzessionen an einen politischen Islamismus verstanden werden könnten, und dies ist eine Ideologie, die wir NICHT teilen. Wir halten den Brief für wichtig, weil er theologisch die Lehren des jihadistischen Salafismus widerlegt, und genau dies ist auch ein Ziel unserer Arbeit.

Als Schlusswort soll gesagt sein, dass Gott sich selbst als „den Barmherzigsten aller Barmherzigen“ bezeichnet. Er erschuf den Menschen aus Seiner Barmherzigkeit heraus. Gott sagt im Koran: „Der Barmherzige lehrte den Koran. Er erschuf den Menschen.“ (al-Raḥmān, 55:1-3) Und Gott erschuf den Menschen für Seine Barmherzigkeit: „Und wenn dein Herr wollte, hätte Er die Menschen wahrlich zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Aber sie bleiben doch uneinig außer denen, derer Sich dein Herr erbarmt hat. Dazu hat Er sie erschaffen.“ (Hūd, 11:118-119) Sprachlich gesehen bezieht sich das „dazu“ auf das nächste Nomen, und zwar „Barmherzigkeit“ und nicht „Uneinigkeit“. Dies ist die Meinung des Ibn ʿAbbās, der da sagte: „Er erschuf sie für Barmherzigkeit.“

Der beste Weg um diese Barmherzigkeit zu erreichen ist die Anbetung Gottes. Gott sagt: „Und Ich habe die Ǧinn und die Menschen nur (dazu) erschaffen, damit sie Mir dienen.“ (al-Ḏāriyāt, 51:56) Gott anzubeten ist keine Wohltat, die der Mensch Gott – Erhaben und Makellos ist Er – leistet, sondern es ist eine Versorgung von Ihm: „Ich will weder von ihnen irgendeine Versorgung, noch will Ich, dass sie Mir zu essen geben. Gewiss, Allah ist der Versorger, der Besitzer von Kraft und der Feste.“ (al-Ḏāriyāt, 51:57-58). So offenbarte Gott den Koran auch als eine Barmherzigkeit von Sich: „Und Wir offenbaren vom Koran, was für die Gläubigen Heilung und Barmherzigkeit ist…“ (al-Isrāʾ, 17:82) Islam ist Barmherzigkeit und seine Eigenschaften sind barmherzig. Der Prophet – Frieden und Segen seien auf ihm –, der als Barmherzigkeit für die gesamten Welten gesandt wurde, fasst die Handlungen eines Muslims wie folgt zusammen: Derjenige, der keine Barmherzigkeit zeigt, wird keine Barmherzigkeit erfahren“ und: „Seid barmherzig und euch wird Barmherzigkeit gezeigt werden. Doch wie man aus allem, was gesagt wurde, verstehen kann, habt ihr den Islam als Härte, Brutalität, Folter und Mord fehlinterpretiert. Wie dargelegt, ist dies ein großes Vergehen und eine Beleidigung des Islams, der Muslime und der gesamten Welt.

Überdenkt all eure Handlungen, kehrt euch ab von ihnen und bereut sie und vermeidet anderen zu schaden und kehrt zurück zu der Religion der Barmherzigkeit. Gott sagt im Koran: „Sag: O Meine Diener, die ihr gegen euch selbst maßlos gewesen seid, verliert nicht die Hoffnung auf Allahs Barmherzigkeit. Gewiss, Allah vergibt die Sünden alle. Er ist ja der Allvergebende und Barmherzige.“ (al-Zumar, 39:53)

Und Allāh weiß es am Besten.

24. Ḏu al-Qaʿdah 1435 AH / 19. September 2014


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