Eine abrahamitische Friedenstheologie wird erst entworfen werden können, wenn die friedenstheologischen Ansätze und Entwürfe der einzelnen abrahamitischen Religionen stärker in die Diskussion gebracht worden sind, es wird eine interreligiöse Friedenstheologie sein, die voneinander lernt und miteinander darum ringt, wie in dieser Welt eine Nachfolge in den Spuren des Abraham auszusehen hat:
Wenn die Religionen Europas sich ernsthaft auf dem Weg des Friedens begeben, wird die Politik Europas starke, eigenständige, kritische Partner bekommen – das wird nicht ohne Konflikte bleiben und auch die eine oder andere Transformation im Bereich des Politischen hervorrufen. Diese Zukunftsvision hat übrigens bereits begonnen. Es gibt erste Initiativen, die zeigen, welches Potential gegeben wäre, wenn die Großkirchen bzw. die abrahamitischen Religionen Europas insgesamt die Aufgabe des Friedensstiftens als konstitutiv mit ihrer religiösen Botschaft verknüpft sehen. Von katholischer Seite aus ist die Initiative „Schalomdiakonat“ zu nennen und natürlich die erstaunliche Rolle, die die Gemeinschaft von St Egidio in verschiedenen Konflikten gespielt hat, von mennonitischer Seite aus sind es vor allem die „Christian Peace Maker Teams“, von jüdischer Seite aus sind die „Rabbis for Human Right“ sehr zu beachten. Der „Ökumenische Rat der Kirchen“, die Dachorganisation des Protestantismus, scheint an diesen Basisorganisationen Maß genommen zu haben, als er das Ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) entworfen hat. Die Aktivisten dieses Programms arbeiten übrigens vielfältig mit israelischen Friedensaktivisten zusammen. So begegnet sich heute in der konkreten Friedensarbeit im heiligen Land bestes europäisches Erbe. Wie Rabbiner Dr. Hans Kronheim bereits 1929 in Bielefeld feststellte:
Gott stiftet Frieden, und der Mensch, der Frieden schafft, vollbringt das Werk Gottes, ist ein Gehilfe Gottes.“Nauerth, Thomas: Christliche und jüdische Friedenstheologie. Ein vergessenes europäisches Erbe. In: Scheliha, Arnulf von/ Goodmann-Thau, Eveline (Hg.), Zwischen Formation und Transformation. Die Religionen Europas auf dem Weg des Friedens, Göttingen 2011, 201-211
http://wp1062012.server-he.de/wp-content/uploads /2022/11VortragFRIEDENSTHEOLOGIEosnabruck-1.pdfVorarbeiten künftiger abrahamitischer Theologie finden sich aktuell in den Texten und Erklärungen interreligiöser (Friedens-)treffen. In diesen Erklärungen wird erkennbar, was eine zukünftige abrahamitische Theologie für ein gesellschaftliches, politisches Potential haben könnte:
„Liebe Freunde, lasst uns im Licht des religiösen Erbes, das uns gemeinsam ist, die Gegenwart als gemeinsame Herausforderung ansehen, als Aufforderung zum gemeinsamen Handeln. Unseren beiden Glaubensgemeinschaften ist die Aufgabe anvertraut, die Welt geschwisterlicher zu machen, gegen Ungleichheiten zu kämpfen und für mehr Gerechtigkeit einzutreten, damit der Friede nicht eine jenseitige Verheißung bleibt, sondern schon hienieden zur Realität wird.“ (Papst Franziskus, Ansprache bei der Begegnung mit Vertretern des Jüdischen Weltkongresses, 22.11.2022)
Vor allem die Weltgebetstreffen in bzw. im Geist von Assisi haben diesbezüglich starke und wegweisende Texte veröffentlicht, die zugleich den Horizont öffnen auf alle Religionen hin:
Wir stehen an einem Scheideweg: entweder eine Generation zu sein, die den Planeten und die Menschheit sterben lässt, die Waffen anhäuft und mit ihnen Handel treibt und dem Trugschluss erliegt, sich allein und gegen die anderen zu retten; oder die Generation zu sein, die neue Wege des Zusammenlebens schafft, die nicht in Waffen investiert, die den Krieg als Mittel zur Konfliktlösung abschafft und die abartige Ausbeutung der planetaren Ressourcen beendet.
Als Gläubige müssen wir uns mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, für den Frieden einsetzen. Unsere Pflicht besteht darin, die Herzen abzurüsten und zur Versöhnung unter den Völkern aufzurufen. Leider haben wir auch unter uns Spaltungen zugelassen und den heiligen Namen Gottes missbraucht: dafür bitten wir demütig und beschämt um Vergebung. Die Religionen sind und müssen immer mehr eine bedeutende Quelle des Friedens sein. Der Friede ist heilig, der Krieg darf es niemals sein!
Die Menschheit muss den Kriegen ein Ende setzen, sonst wird der Krieg der Menschheit ein Ende setzen. Die Welt ist als unser gemeinsames Haus einzigartig und ist nicht unser Besitz, sie gehört vielmehr den kommenden Generationen. Daher müssen wir sie vom nuklearen Albtraum befreien. Beginnen wir sofort einen ernsthaften Dialog über die Nichtverbreitung und Vernichtung der Atomwaffen.
Beginnen wir mit dem Dialog, denn er ist eine wirksame Medizin für die Versöhnung der Völker. Stärken wir alle Wege des Dialogs. Friede ist immer möglich! Nie wieder Krieg! Nie wieder die einen gegen die anderen!
Rom, 25. Oktober 2022
https://preghieraperlapace.santegidio.org/pageID/31533/langID/it/tab/31665/Roma-2022–Il-Grido-della-Pace_Finale.htm l